From Ernst Haeckel1 12 May 1867
Jena
12. Mai 1867
Mein theurer, hochverehrter Freund!
Erst vor wenigen Tagen von meiner Reise zurückgekehrt, fand ich Ihren lieben Brief vom 12. April vor, sowie die neue Ausgabe Ihres epochemachenden Werkes.2 Für Beide sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank. Leider ersehe ich aus Ihrem Briefe, dass Sie einen langen Brief nicht erhalten haben, welchen ich schon vor mehreren Monaten an Sie geschrieben hatte, und welchem auch eine Beilage an unseren Freund Huxley eingelegt war. Bei der grossen Unordnung, welche die liederliche spanische Post auf den canarischen Inseln beherrscht, kann ich mich allerdings nicht darüber wundern.3 Dagegen habe ich Ihren ersten, nach Madeira gesandten Brief, richtig erhalten, wenn auch erst 2 Monate später, in Lanzarote.4
Erlauben Sie nun zunächst, theurer Freund, dass ich Ihnen nochmals meinen herzlichsten Dank wiederhole für die überaus freundliche Aufnahme, die mir in Ihrem lieben Hause zu Theil wurde.5 Jenen Tag, den ich bei Ihnen verleben durfte, und auf den ich schon so lange vorher gehofft hatte, wird mir immer unvergesslich sein.
Ich kann Ihnen nicht sagen, welche ausserordentliche Freude Sie mir gemacht haben, als Sie mir erlaubten, Sie zu besuchen, und welche grosse Satisfaction es für mich war, persönlich den Naturforscher kennen zu lernen, der als der Reformator der Descendenz Theorie und als der Entdecker der “natural Selection”, einen grösseren Einfluss auf die Richtung meiner Studien und die Thätigkeit meines Lebens gehabt hat, als alle anderen. Nochmals Ihnen und Ihrer lieben Familie meinen herzlichsten, innigsten Dank.
Hoffentlich geht es mit Ihrer Gesundheit jetzt besser, und Sie können wieder Ihre reichen Kentnisse und Ihre gedankreiche Naturbetrachtung zum Fortschritte unserer Wissenschaften verwenden. Als ich auf meiner Reise das wunderschöne Klima von Madeira und von den canarischen Inseln kennen lernte, habe ich oft gewünscht, dass Sie bei uns wären, um Ihre angegriffene Gesundheit dauernd zu befestigen. Ich selbst bin dort wieder ganz zu meiner alten Kraft gelangt und habe mich von den Anstrengungen, die mir die Arbeit der letzten Jahre auferlegte, vollständig erholt.
Dass Ihnen meine generelle Morphologie im Ganzen gefallen hat, ist mir eine sehr grosse Genugthuung, und Ihr Lob ist für meine Anstrengungen der höchste Lohn. Besonders erfreut haben mich aber Ihre aufrichtigen kritischen Anmerkungen über die Schattenseiten des Werkes, weil ich daraus ersehe, dass Sie mich der aufrichtigsten Freundschaft für würdig erachten. Gewiss ist Ihr Tadel über die allzugrosse Härte meiner kritischen Angriffe und die Bitterkeit meiner Polemik an sich sehr richtig.6 Auch meine besten hiesigen Freunde, vor Allen Prof. Gegenbaur,7 haben mich sehr desshalb getadelt. Ich kann zu meiner Entschuldigung nur sagen, dass ich im vorigen Sommer und Winter, als ich das Buch hier in meiner trüben Einsamkeit schrieb, ausserordentlich bitter gestimmt und nervös gereizt war. Auch hatte ich zu grossen Aerger über die unverschämten und dummen Angriffe Ihrer Gegner, als dass ich sie so ungestraft hätte können hingehen lassen. Meiner Person habe ich durch diese Haltung jedenfalls sehr geschadet, und ich bin schon von vielen Seiten nicht weniger heftig angegriffen worden. Dies ist mir aber ganz gleichgültig, da mir an dem Ansehen meiner Person und der Achtung der Zeitgenossen sehr wenig liegt. Möge meine vielen Feinde immerhin mein Werk sehr angreifen; das trägt nur zu seiner Verbreitung bei; ob sie mich dabei schelten und verläumden, ist mir ganz gleichgültig.
Sehr leid sollte es mir aber thun, wenn ich durch meine allzu harten Angriffe der guten Sache, für welche wir gemeinschaftlich kämpfen, geschadet haben sollte. Mein Freund Gegenbaur, den ich wie einen Bruder liebe, ist dieser Ansicht, und war über meine Litterarischen Extravaganzen sehr ungehalten. Auch Sie, hochverehrter Herr, scheinen diese Befürchtung zu theilen.
Ich gestehe, dass ich in diesem Punkte nicht ganz Ihrer Ansicht bin, und dass ich Ihre Sorge für etwas zu gross halte. Ihre Befürchtung würde richtig sein, wenn man vor der Majorität der heutigen Naturforscher eine selbstständige und unparteiische Haltung und eine nach beiden Seiten hin gerechte Beurtheilung zu erwarten hätte. Dies ist aber leider nicht der Fall. Vielmehr sehen wir, dass die grosse Mehrheit kein eigenes selbstständiges Urtheil, keine scharfe und klare Überzeugung von dem Rechte der Wahrheit besitzt. Und da glaube ich, ist es nothwendig, dass man laut und deutlich die Wahrheit sagt, und die Schwächen der Gegner nicht schont.
Wie ich glaube, handelt es sich jetzt bei uns um eine radikale Reform der ganzen Wissenschaft, zu welcher Sie, hochverehrter Herr, durch Ihre mechanische causale Begründung der Descendenz-Theorie den ersten Anstoss gegeben haben. Eine solche Reformation, die überall mit ungeheuern Hindernissen und Vorurtheilen zu kämpfen hat, ist aber noch niemals durch sanfte Worte und mit wohlwollender Überredung durchgekämpft worden. Vielmehr sind überall energische Angriffe und schonungslose Stösse nöthig gewesen, um das alte Gebäude der befestigten Irrthümer zu zertrümmern. Wie in jedem Kampfe, so hat auch hier der kühne Angreifer grosse Vortheile voraus, und ich habe es daher für besser gehalten, selbst schonungslos anzugreifen, als hinterher von meinen übelwollenden Gegnern überfallen zu werden.
Wenn ich sehe, wie ungerecht und falsch man so vielfältig Ihr grosses Werk beurtheilt, wie man Sie selbst verläumdet hat, so verschwindet alle meine Achtung von dem grossen Publicum der Naturforscher. Ihre ausserordentliche Bescheidenheit hat man für Schwäche, und ihre bewunderungswürdige Selbstkritik für Mangel an fester Überzeugung ausgegeben. Gewiss haben Sie bei guten, verständigen und denkenden Männern dadurch nur gewonnen. Aber leider sind diese in der Minorität. Wenn ich statt dessen die Sache weit schärfer und polemischer angefasst habe, so kann ich in der That kaum glauben, der Sache selbst auf die Dauer geschadet zu haben. Jedenfalls hoffe ich zur Verbreitung Ihrer grossen Ideen und Ihrer bahnbrechenden Reform etwas beitragen, und eine Anzahl von wichtigen, darauf bezüglichen Fragen bestimmt formulirt und auf den offenen Markt gebracht zu haben, deren offene Diskussion den Gegenstand nur fördern und die Wahrheit an das Tageslicht bringen kann. Auch ich vertraue, wie Sie, hochverehrter Herr, vor Allem auf den empfänglichen und vorurtheilsfreien Sinn der jüngeren Naturforscher, und zweifle nicht, dass wir unter der jetzt aufblühenden Generation schon eine sehr viel grössere und lebendigere Theilnahme finden werden. Schon in den wenigen Tagen, die ich wieder hier bin, habe ich dies vom Neuen empfunden. Ich habe sogleich meine Vorlesungen über die Descendenz-Theorie wieder begonnen,8 und empfinde mit lebhaftem Vergnügen die warme, gegen früher noch gesteigerte Theilnahme, welche die ⟨ ⟩hsame akademische Jugend unserer Sache entgegen trägt.
Ich werde übrigens in Zukunft Ihre wohlwollenden väterlichen Rathschläge, für die ich Ihnen aufrichtig danke, berücksichtigen, und werde meiner allzu eifrigen und leidenschaftlichen Feder einen strengeren Zügel anlegen. Sie erweisen mir die aufrichtigste Freundschaft theurer Herr, wenn Sie mich auch künftighin so offen auf die Fehler meiner Arbeiten aufmerksam machen.
Über meine Reise werde ich Ihnen demnächst einen gedruckten Bericht zusenden.9 Ich war nur kurze Zeit in Madeira, nur 14 Tage in Teneriffa (wo ich den Pic bestieg)10 aber 3 Monate in Lanzarote, wo ich vorzüglich die Entwickelung der herrlichen Siphonophoren und die atlantischen Radiolarien studirt habe.11 Im März war ich 14 Tage in Marocco 14 Tage in Gibraltar. Die erste Hälfte April reiste ich durch Sevilla, Cordova, Granada (!) Madrid; die zweite Hälfte April benutzte ich, um die merkwürdige Exposition universelle in Paris zu studiren.12 Meine Gesundheit war in der ganzen Zeit vortrefflich, und ich bin mit den Resultaten der Reise sehr zufrieden.
Vielleicht komme ich noch in diesem Jahre (im Herbste) nach England, und es würde mich sehr freuen, wenn ich Sie dann in besserer Gesundheit wieder sehen dürfte. Inzwischen nehmen Sie, theurer Herr, nochmals meinen herzlichsten Dank für Ihre aufrichtige Freundschaft entgegen, und die Bitte, mir dieselbe auch fernerhin zu erhalten.
Mit der Bitte, Mrs und Miss Darwin13 meine ehrerbietigste Empfehlung zu sagen, von Herzen Ihr treu ergebener | Ernst Haeckel
Footnotes
Bibliography
Correspondence: The correspondence of Charles Darwin. Edited by Frederick Burkhardt et al. 29 vols to date. Cambridge: Cambridge University Press. 1985–.
EB: The Encyclopædia Britannica. A dictionary of arts, sciences, literature and general information. 11th edition. 29 vols. Cambridge: Cambridge University Press. 1910–11.
Haeckel, Ernst. 1867. Eine zoologischen Excursion nach den Canarischen Inseln. Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaft 3: 313–28.
Times atlas: ‘The Times’ atlas of the world. Comprehensive edition. 9th edition. London: Times Books. 1992.
Uschmann, Georg. 1959. Geschichte der Zoologie und der zoologischen Anstalten in Jena 1779–1919. Jena: VEB Gustav Fischer.
Uschmann, Georg. 1984. Ernst Haeckel. Biographie in Briefen. Gütersloh: Prisma Verlag.
Translation
From Ernst Haeckel1 12 May 1867
Jena
12. May 1867
My dear, most admired friend!
Having only been back from my travels a few days, I found your kind letter of 12. April along with the new edition of your epoch-making work.2 For both I express my most heartfelt thanks. Unfortunately, I can see from your letter that you have not received a long letter that I write to you several months ago, and that contained an enclosure for our friend Huxley. Given the great disorder that dominates the sloppy Spanish post on the Canary Islands, I certainly cannot say I am surprised.3 On the other hand, I did receive your first letter, sent to Madeira, although 2 months later, on Lanzarote.4
Now, let me first of all dear friend, repeat my most heartfelt thanks for the exceedingly friendly reception that I enjoyed in your dear home.5 That day, which I was privileged to spend with you and to which I had looked forward for so long will always be unforgettable to me.
I cannot tell you how exceptionally happy you made me by allowing me to visit you, and what immense satisfaction I got from becoming personally acquainted with the naturalist who, as reformer of the theory of descent and discoverer of natural selection, has had a greater influence on the direction of my studies and my life’s work than anyone else. Once more I send you and your dear family my most heartfelt and sincere thanks.
I hope your health is improving now, and you can again devote your great knowledge and your thoughtful examination of nature to the progress of our sciences. When on my travels I got to know the wonderful climate of Madeira and the Canary Islands, I often wished that you were with us in order permanently to strengthen your weakened health. I myself returned to my old strength there and recovered completely from the strains inflicted on me by work in the last few years.
It gives me very great satisfaction that you liked my general morphology overall, and your praise is the highest reward for my efforts. I am especially pleased, however, about your frank, critical remarks on the shortcomings of the work, since this shows that you consider me worthy of the most honest friendship. Your reproach about the excessive sharpness of my critical attacks and the bitterness of my polemics is certainly justified.6 My best friends here, especially Prof. Gegenbaur,7 have also reproached me strongly for this. In my defence, I can only say that when I wrote the book in dismal solitude last summer and winter, I was in an extremely bitter mood and suffering from irritation of the nerves. I also felt too angry about your opponents’ impertinent and stupid attacks to let them get away with it unpunished. In any case, my attitude has been very damaging to me personally and I have been attacked no less vehemently from many sides. But I am completely indifferent to this, since my personal reputation and the esteem of contemporaries matter little to me. Long may my many enemies attack my work strongly; it just contributes to its spread. Whether they rebuke and malign me is unimportant to me.
But I should be very sad if my too vehement attacks were to damage the good cause for which we both fight. My friend Gegenbaur, whom I love like a brother, is of this opinion and he is very indignant about my literary excesses. You too, most honoured sir, seem to share this fear.
I admit that in this respect I am not quite of your opinion and that I find you unduly worried. Your apprehension would be justified if one could expect an independent, impartial attitude and a fair judgement of both sides from the majority of today’s naturalists. But unfortunately this is emphatically not the case. Rather, we see that the large majority do not make an independent judgement, do not have a distinct and clear conviction of the claims of truth. And so, I think, it is necessary to speak the truth loud and clear and not spare the opponents’ weaknesses.
It seems to me, we are now dealing with a radical reform of the whole of science, a reform that you, most honoured Sir, have initiated with your grounding of the theory of descent in mechanical causation. Such a reformation, which has everywhere to fight immense obstacles and prejudices, can never be won with soft words and benevolent persuasion. Rather, energetic attacks and merciless blows are everywhere necessary in demolishing the old edifice of persistent errors. As with all struggles, here too, the bold attacker has great advantages and thus I thought it wiser to attack mercilessly myself than to be assaulted by my malevolent opponents.
When I see how unfairly and wrongly your great work is judged in various ways, how even you personally are maligned, then all my respect for the great audience of naturalists vanishes. Your extraordinary humility is seen as weakness and your admirable self-criticism is interpreted as lack of firm conviction. Of course with good, understanding and thinking men you have only gained by this. But unfortunately these are in the minority. If instead I have approached the issue much more trenchantly and polemically, then I really can hardly believe I have damaged the cause in the long term. In any case, I hope I have contributed something to the diffusion of your great ideas and your pioneering reform, and to have formulated firmly some important and relevant questions and brought them into the public domain, where open discussion can only promote the topic and reveal the truth. Like you, esteemed sir, I trust, first and foremost, the receptive and unprejudiced nature of younger scientists, and I have no doubt that we will surely encounter much greater and keener interest among the now flourishing generation. Already in the few days since I have been back, I have noticed this again. I immediately started giving my lectures on the theory of descent once more,8 and I feel with lively enjoyment the warm support, even more spririted than before, that the ⟨ ⟩ academic youth gives our cause.
By the way, in future I shall heed your benevolent, paternal advice, for which I sincerely thank you, and I shall rein in my all too keen and passionate pen. You would grant me the most honest friendship, dear Sir, if in future you continue to draw my attention so openly to the mistakes in my work.
I will soon send you a printed report on my travels.9 I was only briefly in Madeira, just 14 days on Tenerife (where I climbed the Pic),10 but 3 months on Lanzarote, where I primarily studied the development of the glorious Siphonophores and Atlantic Radiolaria. 11 In March I spent 14 days in Morocco and 14 days in Gibraltar. In the first half of April I travelled through Seville, Cordova, Granada (!) Madrid; the second half I spent studying the remarkable Exposition universelle in Paris.12 My health was splendid all the time and I am very satisfied with the result of the journey.
I may, perhaps, come to England some time this year (in the autumn), and I would be very pleased if I could see you again in better health. In the meantime, dear Sir, please accept again my warmest thanks for your sincere friendship, and the request that it may continue in future.
With sincerest regards to Mrs and Miss Darwin,13 with all my heart, your obedient servant | Ernst Haeckel
Footnotes
Bibliography
Correspondence: The correspondence of Charles Darwin. Edited by Frederick Burkhardt et al. 29 vols to date. Cambridge: Cambridge University Press. 1985–.
EB: The Encyclopædia Britannica. A dictionary of arts, sciences, literature and general information. 11th edition. 29 vols. Cambridge: Cambridge University Press. 1910–11.
Haeckel, Ernst. 1867. Eine zoologischen Excursion nach den Canarischen Inseln. Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaft 3: 313–28.
Times atlas: ‘The Times’ atlas of the world. Comprehensive edition. 9th edition. London: Times Books. 1992.
Uschmann, Georg. 1959. Geschichte der Zoologie und der zoologischen Anstalten in Jena 1779–1919. Jena: VEB Gustav Fischer.
Uschmann, Georg. 1984. Ernst Haeckel. Biographie in Briefen. Gütersloh: Prisma Verlag.
Summary
Thanks CD for new edition of Origin [4th ed. (1866)].
Comments on CD’s criticism of the harsh tone of Generelle Morphologie. Thinks he may have harmed himself but not the cause. Believes a radical reform of the science necessary, and since most scientists take a prejudiced view of the matter, a vigorous attack is essential.
Describes his travels in Canaries, Spain, and France.
Letter details
- Letter no.
- DCP-LETT-5533
- From
- Ernst Philipp August (Ernst) Haeckel
- To
- Charles Robert Darwin
- Sent from
- Jena
- Source of text
- DAR 166: 44
- Physical description
- ALS 8pp (German)
Please cite as
Darwin Correspondence Project, “Letter no. 5533,” accessed on 9 November 2024, https://www.darwinproject.ac.uk/letter/?docId=letters/DCP-LETT-5533.xml
Also published in The Correspondence of Charles Darwin, vol. 15