[Enclosure]⁴

Ueber Sehorgane vom Typus der Wirbelthieraugen auf

dem Rücken von Schnecken.

Von C. Semper

Einleitung. Es besteht bekanntlich zwischen den Augen der Wirbelthiere und denen der Wirbellosen ein fundamentaler Gegensatz in der Schichtfolge der Retina; bei jenen bilden die Opticusfasern immer die innerste, bei diesen immer die äußerste Retinaschicht. Darwin hat die große Bedeutung dieses Gegensatzes anerkannt, indem er in der 6^ten. Auflage seines “Origin of Species” (englische Ausgabe 1875 p. 152) auf ihn hinwies.⁵

Bei der anatomischen Durcharbeitung von 19 Arten von Onchidium, einer meist in tropischen Ländern lebenden Gattung schalenloser Pulmonaten, habe ich nun aber Augen aufgefunden, welche, obschon im Einzelnen wesentlich einfacher gebaut, doch fast alle Elemente des Wirbelthierauges in absolut mit diesem übereinstimmender Schichtfolge aufweisen. Auf die stark convexe Cornea folgt eine aus mehreren Schichten von Zellen bestehende Linse; diese wird an ihrem vorderen Abschnitt durch einen Ciliarring festgehalten, sodaß eine wahrscheinlich auch erweiterbare Pupille entsteht; die eng sich an die Linse anschließende Retina weist hart an dieser die Faserschicht auf, darauf folgt die einfache Retinazellenlage, und dann eine Stäbchenschicht, die mit ihren Stäbchenenden an eine Pigmentumhüllung herantritt. Der Sehnerv durchbohrt die äußeren Lagen der Retina, um sich dicht hinter der Linse becherförmig zur Faserschicht auszubreiten; in Folge davon entsteht ein echter blinder Fleck, wie bei den Wirbelthieren.

Dies allein schon würde, wie mir scheint, eine eingehende Untersuchung solcher Augen rechtfertigen. Sie gewinnen aber noch an Interesse durch die Art ihres Vorkommens. Sie stehen nemlich nicht auf den Tentakeln der Onchidium-arten, sondern auf ihrem Rücken, während die gleichfalls vorhandenen Tentakelaugen nach dem gewöhnlichen Typus des Molluskenauges gebaut sind. Es kommen hier also zweierlei Augentypen auf demselben Thiere vor. Die Rückenaugen stehen ferner durch ihre Nerven nicht mit dem Cerebralganglion in Verbindung, sondern mit dem Visceralganglion, während die Optici der Tentakelaugen sich an jenes ansetzen. Es zeigen weiter diese Rückenaugen eine auffallende Variabilität der Zahl selbst innerhalb der Species; so schwankt bei O. verruculatum die Menge derselben bei den einzelnen Individuen zwischen 12 und 82.⁶ Und es stehen endlich verschiedene Entwickelungsstufen der Augen auf dem Rücken desselben erwachsenen Individuums nebeneinander.

Keine einzige Schneckengattung ist bekannt, welche solche Augen trüge. Bergh,⁷ der unstreitig beste Kenner der Nacktmollusken des Meeres, schreibt mir, es kämen bei diesen Mollusken keine solchen Augen vor; ich selbst, der ich meiner Jugendliebe zu den Landmollusken nie ganz untreu geworden bin, habe bei diesen so wenig, wie bei Kiemenschnecken derlei Organe gefunden; die beiden Gattungen Fissurella und Haliotis, bei welchen ich aus anderen Gründen noch am Ehesten glaubte Mantelaugen erwarten zu können, besitzen sie nicht, wenigstens nicht bei den mir momentan vorliegenden Arten.⁸ Es scheinen also diese Rückenaugen in der Gattung Onchidium selbst enstanden zu sein; dafür spricht ferner der Umstand, daß es auch gänzlich derselben entbehrende Arten derselben Gattung giebt.

Diese Thatsachen mußten den Wunsch rege machen, auch die Entwicklungsweise der Rückenaugen zu untersuchen. An jungen Thieren oder Larven dies zu thun, war mir leider nicht möglich. Dagegen fand ich bald, daß auf demselben Thier verschieden große Augen nebeneinander vorkämen, und daß dann immer die kleinsten auch am einfachsten gebaut seien. Parallel damit ging eine Entwicklungsreihe innerhalb der ausgewachsenen Augen selbst, indem manche von ihnen auf verschiedenen Entwicklungsstufen beharrt zu haben schienen. Durch Ausdehnung der Untersuchung auf die Entwickelung der die Augen tragenden Rückenpapillen selbst gelang es mir schließlich den allgemeinsten Entwicklungstypus Augen mit großer Wahrscheinlichkeit aufzufinden und zu constatiren, daß das hier innerhalb der Gattung jetzt in Bildung oder Umbildung begriffene Sinnesorgan direct auf die einfachsten überhaupt und überall in den Papillen vorkommenden Bildungen zurückzuführen sei. Durch hypothetische Verknüpfung der Lebensverhältnisse dieser Thiere mit der Entwicklungsreihe ihrer Rückenaugen ergab sich dann schließlich auch die physiologische Möglichkeit ihrer Entstehung, Fixirung und weiteren Ausbildung.