Verehrter Herr!

Ihr freundlicher Brief vom 12. April ist grade angekommen, und ich will sofort Ihre Frage über Heteranthera reniformis beantworten.² Es ist eine amphibische Pflanze, welche in stehendem Wasser von Sümpfen und Gräben ebenso gut wächst wie ausserhalb des Wassers an feuchten Stellen. …

Während ich bei einer Pflanze von Phyllanthus viele Wochen lang täglich beobachtete, dass an einem oder mehreren Zweigen ihre Blätter bei der Rückkehr aus der Nachtstellung den falschen Weg eingeschlagen hatten, so war es mir nicht möglich, ein zweites Beispiel dieser Unregelmässigkeit bei Hunderten von Pflanzen derselben Art aufzufinden, die ich seitdem darauf untersucht habe. Nur einmal vor ein paar Tagen an einem kalten Morgen sah ich 3 Blätter, welche auf der richtigen Seite zurückgekommen waren, aber ohne sich zu drehen, so dass ihre Unterseiten nach oben gekehrt waren. An den folgenden Tagen zeigten sie die normale Stellung. Von der Pflanze mit den abnorm sich bewegenden Blättern habe ich einige Samen gesammelt; vielleicht werden einige ihrer Nachkommen jene Unregelmässigkeit ererben.³

Was die Bewegung der Blätter bei Cassia, Desmodium und einigen anderen Pflanzen angeht, die sie ausführen, wenn man sie schüttelt oder anschlägt, so glaube ich, dass Sie mit der Vermuthung recht haben, es geschehe, um die Regentropfen wegzuschnellen.⁴ Heute regnet es schon länger als 5 Stunden, und ich bin grade durch meinen Garten gegangen, um zu sehen, welche Stellung die Blätter der Cassia u. s. w. angenommen haben. Die Cassia-Blätter haben eine Stellung, die zwischen der Tag- und Nachtstellung in der Mitte liegt; die Fläche der Blättchen liegt in einer verticalen Ebene, senkrecht zum Blattstiel (und so liegen die beiden Blättchen jedes Paares in derselben Ebene); die Oberseiten sind nach der Spitze des Blattstieles gerichtet; gleichzeitg sind die Blättchen abwärts gebogen, so dass die beiden Mittelrippen jedes Paares ungefähr einen rechten Winkel bilden. Bei sehr heftigen Regengüssen nehmen die Blätter dieser Cassia ihre Nachtstellung an.—⁵ Die Blätter einer Acacia sind in einer der nächtlichen sehr ähnlichen Stellung. Die Blätter von Schizolobium (doppelt gefiedert, wie diejenigen von Acacia, aber sehr gross), haben kaum ihre Tagstellung verändert, während sie bei sehr schwerem Regen sich ziemlich ähnlich so stellen wie die Cassia-Blätter des Nachts. Die Blätter zweier Arten von Desmodium haben ihre Nachtstellung eingenommen, während diejenigen einer dritten Art die Tagstellung festhalten. Die Blättchen von Oxalis sepium hängen senkrecht herunter, wie sie gewöhnlich (aber nicht ohne Ausnahme) des Nachts thun. — Die Blätter von Phyllanthus compressus haben sich nicht bewegt; bei Ph. consanguineus stehen die Blattflächen beinah in einer senkrechten Ebene, etwas abwärts gebogen, und die Mittelrippen bilden einen Winkel von ungefähr 30^o mit dem Horizont; bei einer dritten Art von Phyllanthus mit sehr abweichender nyctitroper Bewegung haben die Blätter nichtdestoweniger eine ganz ähnliche Regenstellung eingenommen wie bei der vorhergehenden; nur sind sie noch etwas mehr abwärts gebogen, und es bilden die Mittelrippen mit dem Horizont einen Winkel von etwas mehr als 45°.⁶

Die Blättchen von Oxalis sepium und diejenigen von Schizolobium sind sensitiv, obwohl in geringem Grade; bei Oxalis biegen sie sich, wenn sie gestossen werden oder wenn die Pflanze geschüttelt wird, ein wenig abwärts. Wenn bei Schizolobium ein einzelnes Blättchen wiederholt mit dem Finger geschlagen wird, so bewegt es sich sehr langsam gegen die Spitze des Blattstieles und dreht sich gleichzeitig ein wenig. …

Ich habe jetzt die Hymenopteren-Bewohner von 9 verschiedenen Feigenarten gesammelt; unter den Insecten, welche in den Feigen eines einzigen Baumes gesammelt wurden, hat Dr. Paul Mayer nicht weniger als 7 verschiedene Arten unterschieden, und dazu sind die Männchen einer dieser Arten dimorph oder sogar trimorph. Wie ich von Mayer höre, wird die Abhandlung über Caprification wahrscheinlich nächsten Herbst erscheinen.⁷

Glauben Sie, werther Herr, dass ich mit der grössten Hochachtung treulichts der Ihrige bin | Fritz Müller.