Verehrter Herr

Mit inniger Freude hat mich der liebevolle Brief erfüllt, den ich von Ihnen erhalten habe;² es gereicht mir zur höchsten Genugthuung, dass es mir vergoennt war, zur Vervollstaendigung Ihrer so merkwürdigen Forschungen beizutragen. Ich würde überhaupt nicht gewagt haben, meine Beobachtungen über Aldrovanda und Utricularia zu publiciren,³ wenn ich nicht geglaubt haette, dass Ihnen diese Pflanzen unzugaenglich seien, was allerdings, wie ich sehe, nur bei der ersteren der Fall war. Wäre es nicht jetzt zu spaet in der Jahreszeit, so würde ich Ihnen lebende Aldrovanda zugeschickt haben; doch sind jetzt nur Winterknospen vorhanden; im naechsten Sommer will ich mir erlauben Ihnen frische Exemplare zur Vergleichung zu übersenden. Aldrovanda ist in der That eine Dionaea “en miniature”, und zwar nicht blos nach dem äussern Ansehen, sondern auch nach dem anatomischen Bau; so sind zum Beispiel die Trichome auf der Innenseite der Blaetter von Aldrovanda didynamisch, ähnlich wie in den Schläuchen von Utricularia; bei Dionaea sind dieselben tetradynamisch; oder achtarmig; die Drüsen von Aldrovanda bestehen, von oben gesehen, aus zwei concentrischen Reihen; die von Dionaea aus drei solchen Reihen; die Randborsten von Aldrovanda sind einzellig; die von Dionaea vielzellig, u.s.w.⁴ Ich erlaube mir dabei zu bemerken, dass ich die anatomische Untersuchung von Dionaea, namentlich mit Rücksicht auf den Mechanismus ihrer Bewegung begonnen, jedoch mich nicht berechtigt gehalten habe, darüber etwas zu veroeffentlichen, weil ich voraussetzte, dass Sie selbst, oder Dr. B. Sanderson bereits diese mikroskopischen Untersuchungen zu publiciren in Begriff sind;⁵ nur im Fall von Ihnen die mikroskopischen Verhaeltnisse nicht mit in den Kreis Ihrer Forschungen gezogen sein sollten, würde ich es wagen, meinerseits darauf zurückzukommen.

Was nun die kleine Abhandlung betrifft, welche Sie so gütig aufgenommen haben, so hat dieselbe folgende Geschichte. Als ich Anfang August die überraschenden Beobachtungen über Aldrovanda und Utricularia gemacht, in Folge der in “Nature” enthaltenen Abhandlung des Dr. Sanderson,⁶ welche mich zur Prüfung auf das Lebhafteste angeregt hatte, da war es zuerst meine Absicht dieselben in einem, an Sie gerichteten Sendschreiben bekannt zu machen; doch überzeugte ich mich, dass in dieser Form nicht jene Ausführlichkeit zulässig sei, welche die bisher nur wenig genau erforschte Organisation der “Fallen” bei desen Pflanzen mir zu erfordern schien; ich entschloss mich daher meine Beobachtungen zu einem Aufsatze zu verarbeiten, den ich in das eben in Druck begriffene dritte Heft meiner Beitraege zur Biologie der Pflanzen (Breslau 1874. Max Müller) aufnahm.⁷ Von diesem Aufsatze ist bis jetzt erst der erste halbe Bogen gedruckt; der Bogen, welcher den Schluss meines Aufsatzes enthaelt, ist noch nicht abgedruckt, weil die darauf folgende Abhandlung noch nicht hat gesetzt werden können; ich bin deshalb genöthigt gewesen, von diesem Schluss Ihnen erst einen Bürstenabzug einzusenden, behalte mir jedoch vor, Ihnen ein vollständiges Exemplar zuzuschicken, sobald die Tafel, die noch in Arbeit ist, vollendet sein wird. Einstweilen gestatten Sie mir ein Paar kleine Skizzen aus meinen Zeichnungen über Aldrovanda beizulegen.⁸

In Bezug auf Utricularia ist Ihre Beschreibung mit der meinigen nicht im Widerspruch; auch ich fand vier Kegelborsten, spines (beiderseits je zwei, vom Centrum der concentrischen Zellordnung des Gaumens gerechnet) und ebenso je zwei, also zusammen vier Borsten an beiden Seiten des untern Peristomrandes.

Ich bin glücklich, dass die nicht eben leichte Untersuchung des Peristoms von Utricularia in Ihren Forschungen Bestätigung findet; haette ich geahnt, dass Sie selbst bereits Utricularia untersuchen, so würde ich nicht gewagt haben mit meinen Beobachtungen hervorzutreten.⁹

In der botanischen Section der so eben hier abgehaltenen Deutschen Naturforscherversammlung habe ich mir am 22 Sept. erlaubt einen Vortrag über Aldrovanda und Utricularia zu halten,¹⁰ wobei ich auch durch gütige Bewilligung des Professor Goeppert¹¹ das Verhalten von Dionaea zu Fliegen demonstriren konnte, und auch auf den inzwischen mir bekannt gewordenen Vortrag des Dr. Hooker “on the carnivorous habits of plants, Nature 3. Sept.”¹² Bezug nahm.

Mit lebhaftester Spannung sehe ich dem gütigst in Aussicht gestellten Buche entgegen;¹³ möge Ihre Gesundheit Ihnen gestatten, recht bald uns wiederum durch jene Belehrung und Anregung zu erfreuen, welche die unbegrenzte Schaar Ihrer Schüler und Verehrer hier in Deutschland, wie in der ganzen wissenschaftlich Welt von Ihnen in so überreichem Masse erhalten, und noch fort und fort von Ihnen erwartet.

Verehrungsvoll | Ferdinand Cohn