Hochgeehrtester Herr!

Seit mehreren Jahren verwende ich meine freie Zeit dazu, die Entwickelungsgesetze der Ammoniten näher zu erforschen und ich erlaubte mir vor einigen Jahren schon einmal, Ihnen eine kurze Publication über einige Resultate dieser Studien zuzusenden, worauf ich von Ihnen zu meiner grössten Freude ein so freundlich aufmunterndes Schreiben erhielt.² Da mich meine Studien davon überzeugten, dass die Entwickelung der Ammoniten einen der schärfsten und klarsten Beweise für die Wahrheit der Descendenztheorie liefern, so begann ich vor einiger Zeit schon, über meine Beobachtungen ein ausführliches Werk auszuarbeiten, dem eine Anzahl Abbildungen beigegeben werden soll.

In den letzten Jahren wurde ich jedoch an meinen Ammonitenstudien dadurch ausserordentlich gehindert, dass ich mich, wider meinen Willen, nur um existiren zu können, einem technischen Berufe hingeben musste, der mir fast gar keine Zeit zu wissenschaftlichen Arbeiten übrig liess.³ Es ist mir bis jetzt leider nicht gelungen, eine Stellung zu erringen, zu deren Wirkungskreis das Betreiben paläontologischer Studien gehört, und eigene Mittel fehlen mir ebenfalls, um die mich in so hohem Grade anziehenden Forschungen in unabhängiger Weise zu einem Abschlusse bringen zu können.

Diese Umstände werden mich vielleicht einigermassen entschuldigen, wenn ich es wage, bei Ihnen, hochgeehrtester Herr, ergebenst anzufragen, ob es nicht etwa möglich wäre, von einer Stiftung zur Förderung geologischer Forschungen, deren es in Ihrem Lande mehrere gibt, eine Unterstützung zu bekommen, die mich in den Stand setzte, meine Untersuchungen über Ammoniten in den nächsten Jahren ungehindert fortsetzen zu können.

Der naturwissenschaftliche Verein zu Carlsruhe⁴ würde die Herstellungskosten der zu meinem Werke nöthigen Abbildungen übernehmen. Für eine Anzahl Entwickelungsreihen jurassischer Ammoniten habe ich bereits das vollständige Material beisammen und mehrere noch vorhandene Lücken würden sich nach meiner Ueberzeugung durch das weitere Ausbeuten guter Fundstellen unseres süddeutschen Jura ausfüllen lassen, auch hoffe ich durch das Studium einiger grösserer Sammlungen noch manches zu gewinnen. Wenn ich mich diesen Arbeiten ungehindert hingeben könnte, würde nach etwa 1$\frac{1}{2}$–2 Jahren mein Werk druckfertig sein.⁵

Wenn Sie, hochgeehrtester Herr, die Freundlichkeit haben wollten, mich bei einer Stiftung zu empfehlen, welche den Zweck hat, unbemittelte Naturforscher bei ihren wissenschaftlichen Arbeiten zu unterstützen, so würde wohl meine Angelegenheit einer günstigen Erledigung entgegengehen und ich wäre Ihnen dafür zu unendlichem Danke verpflichtet, denn nach dem Erscheinen meiner Arbeit würde mein Schicksal vielleicht auch eine günstigere Wendung nehmen, indem es mir dann wohl eher gelingen würde, eine meinen Neigungen entsprechende Stellung zu finden.

Ueber meine persönlichen Verhältnisse erlaube ich mir noch beizufügen, dass ich gegenwärtig 33 Jahre alt, allein stehend ohne eigene Familie bin und während mehrerer Jahre an der polytechnischen Hochschule zu Carlsruhe⁶ Geologie, Mineralogie, Chemie und Mathematik studirte.

Schliesslich möchte ich Sie noch höflichst bitten, mir meine Dreistigkeit nicht übel zu nehmen. Nur der Umstand, dass bei mir der unwiderstehliche Drang zu naturwissenschaftlichen Forschungen mit so ungünstigen äusseren Verhältnissen zusammentrifft, gibt mir den Muth, mich in dieser Angelegenheit an Sie zu wenden.

Mit der vorzüglichsten Hochachtung verbleibe ich | Ihr ergebenster | Leopold Würtenberger