Hochverehrter theurer Freund!

Ihr lieber letzter Brief, durch den Sie mich sehr erfreut haben, war insofern allzu gütig, als Sie den geringen Antheil, welchen ich an der Foerderung und Verbreitung Ihrer Ideen habe, gewiss überschätzen und der “Natürlichen Schöpfungsgeschichte einen Werth zuschreiben, den sie nicht besitzt.² Diese und ähnliche Bücher sind doch nur weitere Ausführungen der mächtigen Anregung, welche Sie gegeben haben, und das Verdienst, welches ich und ähnliche “Darwinisten” uns im besten Falle erwerben können, ist nicht zu vergleichen mit dem unschätzbaren Verdienste des Meisters, der zuerst unserer Wissenschaft freie Bahn gebrochen hat.

Die Polemik gegen Rütimeyer, welche ich in die Vorrede der III. Auflage aufgenommen habe, ist mir durch die unaufhörlichen Angriffe dieses Pseudo-Darwinisten abgedrungen, welcher bei jeder Gelegenheit meine Arbeiten als “unwissenschaftlich” verleumdet und sich ähnlich wie ein bellender Hund beträgt, der sich über den raschen Lauf eines schnellen Pferdes ärgert.³ Ich würd ihm übrigens nicht so hart die Wahrheit gesagt haben, wenn ich nicht wüsste, dass hinter seiner Polemik die elendesten Motive verborgen sind. Professor Rütimeyer ist ein echter Schweizer, und das alte Sprichwort sagt: “Kein Geld kein Schweizer”. Seine Baseler Landsleute, von denen er besoldet wird, sind sehr kirchlich fromm, und da er sich bei ihnen durch seine trefflichen Arbeiten in den Ruf eines halben Darwinisten gesetzt hat, sucht er dies dadurch wieder auszugleichen, dass er andere Darwinisten verleumdet.

Die Untersuchungen des Englischen Dr. Bastian über spontane Generation, von denen Sie mir schreiben, habe ich auch im Auszuge gelesen.⁴ Es sind darin sehr interessante Angaben. Doch gestehe ich, dass ich in die Qualität des Dr. Bastian als Beobachter und Kritiker kein grosses Vertrauen setze. Es wird noch mit viel mehr Sorgfalt und Kritik über die Urzeugung beobachtet und experimentirt werden müssen, ehe diese fundamentale Frage von der empirischen Seite wirklich gefördert wird. Von der philosophischen Seite ist sie hinlaenglich klar. Besonders durch die Entdeckung der Moneren scheinen mir hier die meisten Schwierigkeiten gehoben zu sein.⁵ Eine andere Schwierigkeit hat die phylogenetische Frage, wie sich die die durch Urzeugung entstandenen und etwa jetzt noch entstehenden Formen vom Moneren zu den Wurzel-Formen des Thierreichen Protisten-reichs und Pflanzenreichs verhalten.

Meine Monographie der Calcispongien ist nun nahezu fertig und ich hoffe, sie Ihnen im November senden zu können.⁶ Ich hoffe, dass Manches darin Sie interessiren wird, vor Allen der wunderbare Grad von Variabilitaet und Anpassungsfähigkeit den diese merkwürdigen Thiere besitzen. Der gewöhnliche Grad von Variabilitaet wird hier weit überschritten, und die gewöhnlichen Vorstellungen von “Species” hören hier ganz auf. In dieser Beziehung sind die Spongien vielleicht die interessantesten von allen Organismen.

Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit, und mit der Hoffnung dass Sie uns noch recht lange als Hauptführer und “Feldmarschall” im “Kampfe um die Wahrheit” vorangehen, bleibe ich, hochverehrter Freund, Ihr treuer, von Herzen ergebener | Ernst Haeckel